Letzte Aktualisierung: 26. November 2025
Information
Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes
Gesellschaftspolitik, Vereinbarkeit Familien und Beruf, Kirchen, Ehrenamt, Inklusion, Mitarbeitergesundheit
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Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat einen Referentenentwurf zur Änderung des Behindertengleichstellungsgesetz (BGGÄndG) vorgelegt. Bereits die Ampelregierung wollte in der vergangenen Legislaturperiode einen entsprechenden Entwurf vorlegen, was durch den Bruch der Regierung nicht mehr erfolgte.
Wir haben die wichtigsten Inhalte des Entwurfs für Sie zusammengefasst:
- Erweiterung des Anwendungsbereichs: Das Benachteiligungsverbot soll von öffentlichen Trägern auf private Unternehmen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehende bewegliche Güter oder Dienst- oder Werkleistungen anbieten, ausgeweitet werden.
- Pflicht zu angemessenen Vorkehrungen: Um nicht gegen das Benachteiligungsverbot zu verstoßen, sollen Unternehmen im Bedarfsfall „angemessene Vorkehrungen“ treffen müssen. Ausgenommen sind bauliche Veränderungen sowie Änderungen an Gütern und Dienstleistungen – dies gilt als unverhältnismäßig.
- Die Angemessenheit der Vorkehrungen richtet sich nach Faktoren wie Unternehmensgröße, Umsatz, Art der Dienstleistung und Kosten.
- Neues Legalbeispiel einer Benachteiligung: Dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, einschließlich algorithmische Entscheidungssysteme die Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, sollen ebenfalls unter den Benachteiligungsbegriff fallen. Eine Ausnahme soll dann bestehen, wenn die Vorschrift, die Kriterien oder das Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich sind.
- Rechtsfolge eines Verstoßes: Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot sollen Ansprüche des benachteiligten Menschen mit Behinderung auf Beseitigung, Unterlassung der Benachteiligung sowie Entschädigung bestehen. Weitere Ansprüche sollen unberührt bleiben. Ein Schadensersatzanspruch gegen private Unternehmen ist dabei ausgeschlossen. Im Falle einer Benachteiligung soll nur ein Feststellungsanspruch in Betracht kommen.
- Konkurrenzregel: Besondere Benachteiligungsverbote zu Gunsten von Menschen mit Behinderungen in anderen Rechtsvorschriften bleiben unberührt.
- Zulässige unterschiedliche Behandlung: Eine unterschiedliche Behandlung zwischen Menschen mit und ohne Behinderung soll zulässig sein, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen einer Behinderung verhindert oder ausgeglichen werden sollen oder ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung gegeben ist.
- Beweislast: Der Referentenentwurf sieht eine faktische Beweislastumkehr zum Nachteil der Unternehmen vor: Eine Glaubhaftmachung der Tatsachen, die eine Benachteiligung vermuten lassen, soll ausreichen, damit das beklagte Unternehmen die Beweislast für die sachlichen Gründe für die Benachteiligung trägt.
- Bundesfachstelle für Barrierefreiheit: Die Aufgaben der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit werden auf die Beratung der Wirtschaft und der Verbände erweitert.
- Prozessstandschaft: Vertretungsbefugnis durch einen nach § 15 Abs. 3 BGG anerkannten Verband im gerichtlichen Verfahren.
- Schlichtungsverfahren: Der Entwurf sieht ein Schlichtungsverfahren vor, das einer Klagemöglichkeit vorgelagert sein soll. Das Verfahren ist nicht obligatorisch.
- Keine Berichts- und Informationspflichten: Es sind keine neuen Berichtspflichten oder Dokumentationspflichten für die Unternehmen vorgesehen.
- Inkrafttreten: Ein Inkrafttreten des Gesetzes ist am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Quartals vorgesehen.
Bewertung
Es besteht kein Bedarf, den Anwendungsbereich des BGG auf private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen auszuweiten. Die Wirtschaft engagiert sich intensiv für ein barrierefreies Arbeitsumfeld und die Inklusion von Menschen mit Behinderung.
Entscheidend ist: Der Abbau von Barrieren und Inklusion sollte nicht mit Zwang und Sanktionen durchgesetzt werden. Wichtig sind hingegen Information, Sensibilisierung und Unterstützung im Hinblick auf Barrierefreiheit. Die Ausweitung, wie sie nun vorgesehen ist, geht mit massivem Aufwand, Unsicherheit und u. U. auch hohen Kosten für Unternehmen einher.
Arbeitgeber bekennen sich zur Barrierefreiheit nach den bisherigen gesetzlichen Vorschriften und setzen diese auch erfolgreich um. Eine darüberhinausgehende gesetzliche Verpflichtung wird die Unternehmen in einer ohnehin schon sehr angespannten wirtschaftlichen Situation deutlich treffen.
Die im Entwurf vorgesehene Verpflichtung, dass Unternehmen im Einzelfall „angemessene Vorkehrungen“ zur Beseitigung von Barrieren vornehmen müssen, um nicht gegen das Benachteiligungsverbot zu verstoßen, führt zu Fragen hinsichtlich der Rechtsklarheit und der Praktikabilität.
Besonders kritisch zu bewerten ist weiterhin, dass Menschen mit Behinderungen auf Beseitigung oder Unterlassung der Benachteiligung klagen können und ein Anspruch auf Entschädigung geltend gemacht werden kann.
Um das durch das Gesetz verfolgte Ziel zu erreichen, sind keine Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche notwendig. Diese Ansprüche führen in Verbindung mit der vorgesehenen Prozessstandschaft und der gesteigerten Beweislast zu Lasten der Unternehmen zu einem deutlich höheren Rechts- und Kostenrisiko. Da das geplante Schlichtungsverfahren nicht obligatorisch ist, fehlt eine verpflichtende außergerichtliche Konfliktlösungsmöglichkeit, über die sich unnötige Verfahren vor den Gerichten vermeiden ließen.
Die Schätzung des jährlichen Erfüllungsaufwands für die Privatwirtschaft in Höhe von rund 1,35 Mio. Euro erscheint vor dem Hintergrund der möglichen Klageverfahren, Entschädigungsansprüche und Umsetzungsmaßnahmen als zu niedrig angesetzt.
Positiv zu bewerten ist, dass keine neuen Berichts- oder Dokumentationspflichten entstehen.
Weitere Entwicklungen
Der Referentenentwurf befindet sich nun in der Verbändeanhörung und wird voraussichtlich Mitte Dezember im Bundeskabinett behandelt.
Wir werden Sie über weitere Entwicklungen informieren.